Der Architekt Theodor Lehmann hat in Halle keinen großen, keinen bedeutenden Klang. Er wird stets nur im Zusammenhang mit dem Architekturbüro Lehmann und Wolff genannt, wobei Gustav Wolff schlicht mehr Spuren im Stadtbild hinterlassen hat und bis heute weitaus bekannter ist als sein damaliger Kompagnon. Über die Biographie Theodor Lehmanns ist kaum etwas bekannt. Lehmann ist, man muss es so sagen, aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Seine Bauten aber prägen das Bild der Stadt Halle an vielen Stellen.
Das Architekturbüro „Lehmann und Wolff“ war zwischen 1894 und ungefähr 1912 überaus erfolgreich in der um die Jahrhundertwende prosperierenden Stadt Halle. Groß ist die Zahl der gemeinsamen Bauten, für die sich Lehmann mitverantwortlich zeichnete. Historismus und Jugendstil umfasst die Baustil-Palette.
Ein früher Auftrag war 1894 der Bau der heutigen halleschen Synagoge. Das Gebäude wurde ursprünglich als Trauerhalle des 1864 nordöstlich der Innenstadt von Halle angelegten jüdischen Friedhofs nach Plänen von Architekt Theodor Lehmann aus weißen und gelben Ziegeln erbaut.
Städtische Lesehalle dominiert Südseite des Hallmarktes
1904 beauftragte der „Verein für Volkswohl“ die beiden Architekten mit der Planung einer Städtischen Lesehalle – ein Haus für die Volksbildung, ein Haus für Bücher am Hallmarkt. Lehmann und Wolff errichteten in der heutigen Salzgrafenstraße 2 einen beeindruckenden fünfgeschossigen Putzbau mit sieben schmalen, segmentbogig zwischen kräftigen Wandvorlagen vorschwingenden Fensterachsen.
Mit seiner stark vertikalbetonten Fassade beherrscht das Haus die Südseite des Hallmarkts. Außer der Lesehalle und der Volksbibliothek befanden sich im Haus noch eine Kaffeehalle und die Arbeitsnachweisstelle, später das Arbeitsamt. In den Anfangsjahren waren die dritte und vierte Etage der Lesehalle an den Hausmeister und an einen Maler vermietet. Das Gebäude gehört seit 1921 der Stadt und beherbergt bis heute die Stadtbibliothek Halle. Es ist ein Beispiel der späten Jugendstil-Architektur in Halle, wo der Jugendstil ein eigenes, auch vielschichtiges und originelles Gesicht zeigt.
Vor allem die Verbindung des damals neuen Stils mit historischer Bausubstanz und historisierenden, insbesondere neogotischen Formen haben in Halle zu einer eigentümlichen und bisweilen bizarren Durchmischung geführt.
Ev. Gemeindehaus in der Puschkinstraße
So plante das Büro 1902 das Gemeindehaus der evangelischen Kirchengemeinde Sankt Laurentius und Sankt Stephanus Halle, heute Puschkinstraße 27. Der zwei- bis dreigeschossige eigenwillige Bau mit asymmetrischen Massenverteilung zeigt einfache Jugendstilformen mit romanisierenden Elementen wie einem Erker und romanische Fensterformen.
Auch Urologische Klinik von Lehmann und Wolff
Die Zahl der beim Bauamt der Stadt Halle eingereichten Pläne mit der Unterschrift von Architekt Theodor Lehmann ist so groß wie die der Auftraggeber und Gebäudetypen. 1910/11 bauten Lehmann und Wolff ein weiteres bekanntes Gebäude, die ehemalige Urologische Klinik der Universität am Weidenplan 6. Entstanden ist ein dreigeschossiger, breiter Putzbau mit elf Fensterachsen, einem Mittelrisalit und einem aufwändig skulptierten Erker.
Dieser und sein figürlicher Schmuck in barockisierenden Jugendstilformen machen das Gebäude markant. Gegründet wurde die Klinik als Privatklinik des halleschen Gynäkologen Dr. Otto Kneise. Dieser hatte sein Haus ganz auf die individuelle Krankenbetreuung ausgelegt und mit dem Krankenhaus einen für die damalige Zeit fortschrittlichen Zweckbau mit einer modernen Inneneinrichtung geschaffen. Bis in das Jahr 1958 war die Einrichtung eine Privatklinik. Dann wurde sie verstaatlicht. Heute befinden sich Studentenwohnungen in dem sanierten Gebäude.
Riesenhaus als kurzzeitige Herberge Napoleons
Lehmann und Wolff legten auch an eines der bekanntesten Wohnhäuser der Stadt Hand an: die Große Brauhausstraße 16. Bekannt ist es als „Riesenhaus“, benannt nach den beiden großen Atlas-Portalfiguren aus dem Jahr 1697. Im Jahr 1905 wurde das historische Haus, in dem Napoleon nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt übernachtete, durch die beiden Architekten grundlegend erweitert und umgebaut.
Eine der ältesten Villen der Stadt
Und auch die Villa Seckendorff in Halle, Burgstraße 37a, verdankt ihr heutiges Aussehen dem Architekten- und Unternehmer-Gespann. Das 1860 im Stil des Spätklassizismus erbaute Haus ist eine der ältesten erhaltenen Villen der Stadt. Sie wurde ursprünglich für den preußischen Generalmajor Wilhelm Adolf Freiherr von Seckendorff von dem halleschen Architekten Ernst Süvern im schlichten Stil des Spätklassizismus errichtet.
Im Jahr 1896 ließ der damalige Eigentümer an der Nordwestecke der Villa einen massiven Belvedere-Turm in Formen der Neorenaissance anfügen. Die dadurch entstehende Asymmetrie erzeugt den für derartige „italienische Villen“ malerischen Charkater. Das bis dahin noch eher einfache Landhaus wurde so zur gründerzeitlichen Repräsentationsvilla umgestaltet.
Daneben entstand zur gleichen Zeit ein Wirtschaftsgebäude mit Remise, zum Teil in Fachwerk ausgeführt. Die Architekten Theodor Lehmann und Gustav Wolff setzten schließlich im Jahre 1900 dem Mittelrisalit einen Erker vor, womit die Villa noch einen Jugendstil-Akzent erhielt.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Danke für die informative Serie zu den Halleschen Architekten. Sie sollten nicht nur zum Tag der Deutschen Einheit nächstes Jahr Architekturführungen anbieten.